Donnerstag, 18. Oktober 2012

Ahoi - wenn Piraten zusammenkommen

Das Treffen fand in der Winsstraße statt, einige Piraten des Berliner Bezirks Pankow, darunter zwei BVV-Mitglieder, haben dort eine Kneipe als Steuerhaus ihrer Truppe ausgewählt. Für Nichtberliner: BVV steht für Das Wortungetüm "Bezirksverordnetenversammlung". In den ersten Minuten erfüllen die Teilnehmer wirklich jedes gängige Klischee einer Internetpartei: Netbooks und Laptops werden aufgeklappt, die Stromverteilung wird organisiert, ein WLAN-Netz gesucht. Das WLan ist am schnellsten gefunden, da gibts wohl eine Absprache, denn das Passwort ist bekannt. Ich war auf ein absolut chaotisches Treffen vorbereitet und wurde zu meiner Überraschung schnell eines Besseren belehrt.

Da saßen Leute, die genau wussten, was sie wollten und wovon sie redeten. Leute, die einem Nichtpiraten wie mir gern Rede und Antwort standen. Leute, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Ich führe hier gern (nur) ein paar Beispiele an:

  1. Auf meine Frage, warum das Liquid Feedback-Systen bei den Abstimmungen den Normalbürger ausklammert, wie er denn da abstimmen könne, wenn gleich nach der Mitgliedschaft bei den Piraten gefragt wird und man nicht abstimmen kann wenn man er Partei nicht beitritt, kam eine sehr fundierte Aussage. Man strebt an, genau diesen Punkt umzusetzen und ist da wohl schon heftig am debattieren, wie das technisch am besten geht. Man will ja schließlich verhindern, dass einige Bürger mehrfach abstimmen und so das Ergebnis verzerren oder komplett verfälschen.
  2. Meine Frage, warum die Piraten nach außenhin als eine zerrissene Partei auftreten kam prompt die Antwort, dass in dieser Partei jeder seine Meinung kundtun darf, man will schließlich - gerade bei den Führungsleuten - nicht den bei anderen Parteien vorhandenen Fraktionszwang, der die Köpfe der Parteien oft zwingt, gegen ihre Meinung zu stimmen. Das wäre auch nicht demokratisch. Die Frage stellt sich aber überall: Vertrete ich, als zum Beispiel Parteichef, nach außen hin die Meinung der Mehrheit, auch entgegen meiner Meinung, wird sofort die Minderheit losschreien, dass sie unterdrückt wird. So wie überall.
  3. Ein BVV-Mitglied brachte Unterlagen mit, dass das Sozialamt Pankow mit seinen Buchungen hinterherhinkt, der Bezirk daraufhin im nächsten Haushalt weniger Geld bekommt. Nun sitzen diese Piraten da und suchen vieberhaft nach einer Lösung. Eine spannende Diskussion entbrennt zum Thema Ursachen und Lösung. Ursache: hoher Dauerkrankenstand. Lösung: Die Piraten reichen den Antrag ein, dass das Sozialamt Pankow die restlichen Gelder erst im nächsten Jahr verbuchen darf ohne finanzielle Konsequenzen für den Bezirk. Auf längere Sicht wird mehr Personal benötigt, aber die kurzfristige Lösung sei die Verbuchung im nächsten Jahr. Schließlich wird der Haushalt ja auch erst im Januar/Februar verabschiedet. 
  4. Die beiden BVV-Mitglieder sollen am 6. November auch zum Thema Sozialetat abstimmen, verlesen etliche Punkte im Etatentwurf, in denen es heißt "wird nachgereicht" oder ähnlich. Beide stellen fest, dass sie nicht über Punkte abstimmen können, die hoffnungslos unklar sind. Es wird beschlossen, da genau zu recherchieren.
  5. Die Frage wie der Bundesvorstand bezahlt werden soll wird durch drei mögliche Modelle, die im Vorfeld gemacht wurden, gestützt. Die Bezahlung des Vorstandes soll so angelegt sein, dass keine Nebentätigkeit nötig und somit auch nicht erlaubt ist. 3.500,00 € im Monat soll jedes Vorstandsmitglied jeden Monat bekommen. Brutto. Schließlich soll das Gehalt dafür sorgen, dass die Vorstandsmitglieder ohne Existenzängste ihrer Parteiarbeit - und nur der - nachgehen können. 
Das sind nur einige Punkte der gestrigen Versammlung. Klingt das alles nach Chaos? Klingt das nach einer Partei, die verantwortungslos handelt? Ich habe gestern erlebt, wie die Teilnehmer der Versammlung aktiv und engagiert nach Problemlösungen gesucht haben. Und das nicht im Hinterzimmer einer Kneipe, hinter verschlossenen Türen, sondern so, dass jeder Gast des Lokals die Möglichkeit hat, seine Ansicht zu äußern und Vorschläge zu machen. Transparent halt.

Fazit: Mein Bild von der Piratenpartei hat sich gestern enorm gewandelt. Es handelt sich um eine Partei, deren Mitglieder sich der Probleme der Partei durchaus bewusst sind, die aber nach Lösungen suchen und nicht nur stur ihren Parteibeitrag bezahlen. Hier arbeiten Menschen zusammen, die versuchen, eine völlig neue Politikkultur zu etablieren. Die angetreten sind, der Bevölkerung mehr Mitsprache- und Entscheidungsrechte zu verschaffen und die Politik wieder verständlich und transparent zu machen. Die Aufgabe, die vor ihnen liegt, ist gewaltig. Die Politik in unserem Lande besteht derzeit nur noch aus Lobbyismus und Korruptionssumpf. Beides versucht eine noch kleine Partei zu zerschlagen. Entgegen aller Probleme die das mit sich bringt. Ahoi.

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Peer Steinbrück oder das Fass ohne Boden

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat findet die Kritik an seinen Nebeneinnahmen "dämlich", ein "Knecht des Kapitals" sei er nie gewesen. Diese Aussage ist eine Farce, wenn die Recherchen des "Spiegel" stimmen. Und irgendwie an Ironie nicht zu toppen, wenn es wirklich wahr ist, dass seine Nähe zu diversen Bankenlobbyisten und einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft, die zu seiner Zeit als Bundesfinanzminister die Gründung einer halbstaatlichen Beratungsfirma für Public-Private-Partnership-Modelle vorbereiten durften, enger war, als es einem "Volksvertreter" gut tut, geschweige denn ansteht. Bei einigen der Firmen, von denen ich gerade sprach, durfte Steinbrück dann auch hoch bezahlte Vorträge halten, schließlich wäscht eine Hand die andere. Also nichts mit Lobbyarbeit und Vorteilsnahme im Amt (oder Bestechung, wie der Volksmund sagt), sondern - nennen wir es - ausgleichende Gerechtigkeit.

Etwa eine Million Euro soll Steinbrück mit diversen Vorträgen "verdient" haben. Natürlich soll jemand, der Vorträge hält, auch dafür entlohnt werden. Auch die meisten anderen Bundestagsabgeordneten haben Nebenverdienste, die durch Vorträge, Beratungen oder ähnliches entstehen. Und ich bin nicht neidisch, dass er damit viel und gutes Geld verdient, auch wenn sich mir nicht erschließt, was eine Gage von jeweils 20.000 Euro für zwei Vorträge rechtfertigt, wie das "Handelsblatt" die "Welt am Sonntag" zitiert. Wobei, wahrscheinlich ging es in beiden Vorträgen um die Unterbindung von Lobbyarbeit und Korruptionsvorbeugung in den Unternehmen zur Steigerung des Ansehens des jeweiligen Konzerns. Wie selbstlos von Steinbrück. Ich stelle mir lebhaft vor, wie er von den Griechen und Italienern die intensive Bekämpfung von Korruption und Lobbyismus fordert. Witzig.

Auf den Vorwurf des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt, man könne den Eindruch haben, dass Steinbrück der Liebling von Spekulanten sei, reagierte Steinbrück nur: "Es sind offenbar Einige sehr nervös darüber geworden, dass ich Kanzlerkandidat der SPD geworden bin". Ja. Natürlich werden da einige nervös. Nämlich vor allem die, die befürchten müssen, dass nun aufgedeckt wird, dass sie die selbe Lobbyarbeit betreiben und ebensolche "Nebeneinkünfte" erzielen. Oder Leute wie ich, die sich ernsthaft fragen, wie Leute, die ständig im Bundestag durch Abwesenheit glänzen, überhaupt als Bundeskanzler agieren würden. Wer bei wichtigen Sitzungen wie Haushaltsdebatten fehlt (musste man schnell wieder nebenbei für seinen Privathaushalt ein paar Tausender durch einen Vortrag verdienen?), ist in meinen Augen nicht wirklich prädestiniert, ein Land durch die Wirren der Eurokrise zu führen. Schon gar nicht in einer Situation, in der immer mehr Experten und immer mehr Bürger die Zerschlagung der großen Banken fordern, die ja die Krise maßgeblich mit ausgelöst haben und die mit Milliarden an Rettungsmitteln, die letztendlich der Steuerzahler aufbrachte, gerettet werden mussten. (Wo würde er denn dann auch seine Vorträge halten können? (Siehe ersten Absatz))

Sowieso: Diese "Nebenverdienste" sind zu einem Geschwür der bundesdeutschen Volksvertretung geworden. "Nebenverdienst" bedeutet doch, dass man sich ein Zubrot verdient, um die Haushaltskasse aufzubessern. "Nebenverdienst ist etwas, was für immer mehr Klein- und Normalverdiener, Rentner und "Hartz IV-Bezieher zu einer (Über)Lebensnotwendigkeit geworden ist um ihre Familie zu ernähren und ihre Rechnungen zahlen zu können. Und bei denen hat das Wort "Nebenverdienst" auch noch seine ursprüngliche Bedeutung.

Nun möge mir Herr Steinbrück, der ja Mitglied der SPD ist und für diese Partei im Bundestag sitzt, doch mal erklären, wofür er 20.000 Euro bekommt, wenn er vor irgendwelchen Managern einen Vortrag hält. SPD - "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" - beinhaltet zum Beispiel den Ausdruck "sozial". Und wenn man dann als Mitglied dieser Partei und außerdem als Mitglied des Bundestages keine Skrupel hat, für einen!!! Vortrag mehr Geld zu nehmen, als große Bevölkerungsteile im Jahr dafür verdienen, dass sie jeden Tag acht Stunden hart arbeiten gehen, oft Überstunden schieben und danach noch einen (wirklichen) Nebenjob machen ist das nicht sozial sondern asozial.

Als demokratisch gewählter Volksvertreter steht Steinbrück im Sold des Volkes, nimmt aber seine Aufgaben, die der Souverän, nämlich das Volk als sein Arbeitgeber, ihm aufgegeben hat, nicht vertragsgemäß wahr. Wenn ich meiner Hauptarbeit fern bleibe, weil ich gerade in einigen Stunden woanders mehr verdienen kann, werde ich erst abgemahnt und im Wiederholungsfalle gekündigt. Aber "Volksvertreter" wie Steinbrück und co. brauchen da ja keine Angst zu haben, für die gilt ja der im Grundgesetz festgeschriebene Gleichbehandlungsgrundsatz nicht.

Abschließend möchte ich nur noch feststellen: Ich halte Steinbrück für den völlig falschen Kandidaten, habe aber auch keinen Gegenfavoriten. Die Steinbrücks, die tief im Lobbyistensumpf verstrickt sind, sitzen leider überall im Bundestag. Und dieses Verhalten der Politiker und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich immer mehr die Taschen vollschaufeln und ihre Vorteile suchen, frustrieren den normalen Bürger immer mehr. Vor allem, dass unsere "Volksvertreter" das immer unverfrorener tun und sich nicht mal mehr die Mühe machen, dass überhaupt noch zu verstecken. Beispiel Schröder: Schon zum Ende seiner Regierungszeit war klar, dass er nach seiner Amtszeit einen (noch besser bezahlten) Job im Vorstand von GAZPROM haben würde. Vielleicht der wahre Grund, warum er damals die Vertrauensfrage stellte, durch die es zu vorgezogenen Neuwahlen kam. Aber alle Politiker bekämpfen Lobbyismus und Korruption. Steinbrück geht dabei als leuchtendes Beispiel in diesem Kampf voran. Steinbrück, das Fass ohne Boden.