Sonntag, 21. Februar 2010

Auf dem Weg zum Ruhm

Für gestern hatte ich eine Einladung zu einem Casting. Es war mein erstes. Im Park Inn Hotel am Alexanderplatz wollte die das Casting veranstaltende Filmfirma scheinbar herausfinden, ob man denn nun endlich Di Caprio, De Vito und Co. Durch andere, mit schauspielerischer Begabung gesegnete, Menschen ersetzen kann. Also durch Leute wie mich.

Ich warf mich also in meinen Anzug, band eine Krawatte um und marschierte mit meiner ausgefüllten Einladung los. Es ist schon ein wenig kurios, wenn man eine Einladung ausfüllen muss. Meine nächsten Geburtstagseinladungen werde ich ähnlich gestalten. Wo haben Sie Narben? Haben Sie Piercings und wenn ja, wo? Haben Sie Tattoos und wenn ja, wo und was stellen Sie dar? Da kann man sogar noch mit der Idee spielen, verschiedene Einladungskarten zu verschicken, einmal für die Leute, die man dabei haben will und ganz spezielle für diejenigen, die man einladen muss, aber auf gar keinen Fall dabei haben möchte. Die Einladung für Schwiegermutter in Spe könnte noch lauten: Wieviel wiegen Sie? Haben Sie ein Arschgeweih? Haben Sie Falten? Wenn ja, wo?

Im Park Inn angekommen ging ich, eleganten Schrittes, zum Concierge, wollte ihn fragen, wo denn das Casting genau stattfindet. Dazu kam ich nicht, er fragte mich nach meiner Zimmernummer. Offensichtlich hatte er sofort gesehen, dass ich bereits etwas Gehobenes bin und war enttäuscht, als ich ihn nach den von mir gesuchten Räumlichkeiten fragte. Ich muss dazu sagen, dass ich eine prall gefüllte Reisetasche trug, in der sich verschiedene Kleidungsstücke befanden. Ich wusste ja nicht, für was und für welche Rolle ich denn gecastet werden sollte, also hatte ich etliche Textilien dabei. Geschäftsmann, Tourist oder Penner, ich hätte in alle Rollen schlüpfen können. Wir vom Film sind da flexibel. Jedenfalls schickte er mich in die zweite Etage. Mit dem unverwechselbaren Gang der Leute, die den roten Teppich gewohnt sind, begab ich mich zum Fahrstuhl und fuhr nach oben. Dort angekommen erschlug mich fast die anwesende Menschenmenge. Überall saßen und standen potentielle Darsteller und studierten die Drehbücher. Auch ich bekam eins ausgehändigt und stellte fest, dass zwar eine Rahmenhandlung vorgegeben war, dass man aber seinen Text improvisieren sollte. Das kann ich gut.

Es sollte eine Verhörszene bei der Polizei improvisiert werden, die mich durch ihre Logik vor echte Herausforderungen stellte. Ich hatte (laut Drehbuch) vorgestern meinen Nachbarn, Herrn Breuer, mit einem Spaten erschlagen, als er gerade bei uns im Schuppen meine 14jährige Tochter vergewaltigte. Ich finde daran nichts Schlimmes, der wäre doch sowieso aufgrund eines psychologischen Gutachtens vorzeitig aus der Haft entlassen worden, also wozu ihn erst einlochen? Dann sollte mir der Kommissar (ein Schauspieler) einige Fragen stellen und irgendwann würde sich dann die Witwe, die ja logischer weise auch bei dem Verhör anwesend war, einmischen und mich beschimpfen sowie als Mörder bezeichnen. Ich hatte darauf entsprechend zu reagieren. Erst einmal bekamen wir noch eine kurze Einweisung durch den „Kommissar“, der uns erklärte, wir sollten so authentisch wie möglich sein. „Sein Sie einfach Sie selbst.“ meinte er. Ich sah an mir herunter und stellte erleichtert fest, dass es sich bei mir immer noch um meine Person handelte. Die Schauspielerin, die die Witwe des Opfers, also Frau Breuer, darstellen sollte, erklärte uns, dass sie sich – wie gesagt – irgendwann einmischen würde und wir dürften sie dann auch beschimpfen und beleidigen. Von einer Frau, die ein bisschen von einer Domina hatte, hätte ich das nicht gedacht. Verkehrte Welt. Ich hatte Angst um meinen guten ruf als charmanter und den Frauen gegenüber zuvorkommender Mann. Aber wir vom Film müssen halt auch solche Situationen meistern. Dann bekam jeder ein DIN A4-Blatt mit seinem Namen drauf. Wer an der Reihe war, sollte sich an die markierte Stelle stellen und das Blatt unters Kinn halten, dann einmal links ins Profil drehen, einmal rechts, man kennt das ja. Noch ein wenig über sich selber erzählen, über Hobbies und Beruf und so und los gings.

Da der geneigte Leser sich ja ein Bild von meinem Casting machen möchte, beschreibe ich hier auch nicht die Vorstellung der anderen neun Teilnehmer sondern beschränke mich auf meine überragende Darstellung.

Kommissar: Guten Tag!
Ich: Hallo...
Kommissar: Wie stehen Sie zu Herrn Breuer?
Ich: So, wie man zu seinem Konkurrenten steht. Wir sind Nachbarn, haben uns gegenseitig die Aufträge weggeschnappt, hier und da mal ein kurzes Wort, das Übliche halt. Ich mochte ihn nicht, der hat meine Tochter immer mit den Augen ausgezogen...
Kommissar: Wissen Sie, dass der Herr Breuer tot ist?
Ich: STRIKE!!! Wer hat die gute Tat vollbracht? Wen darf ich auf ein paar Drinks einladen?
Kommissar (wird laut): Also freuen Sie sich sogar? Ihr Nachbar ist tot und sie freuen sich??? Wo waren Sie denn am Donnerstag gegen 19:30?
Ich (genervt und auch laut): Ich habe Fern gesehen! Haben Sie nichts besseres zu tun als mir hier dumme Fragen zu stellen? Schreiben Sie mal lieber die zwei Falschparker auf, die vor dem Kommissariat stehen als mich zu belästigen!
Kommissar (immer lauter): Sie haben Fern gesehen? Haben Sie denn dafür Zeugen?
Ich (schreie schon): Wozu denn...?
Frau Breuer (fällt mir schreiend ins Wort): Sie haben meinen Mann umgebracht!!! Sie sind ein Mörder!!!
Ich (schreie immer lauter): Jetzt reißt mir aber der Schlüpfergummi! Machen Sie jetzt blos nicht auf Traer! Sie erben doch die ganze Kohle! Außerdem dürfte ja zwischen Ihnen schon lange nichts mehr gelaufen sein! Kleiner Tipp: Faltenröcke trägt man untenrum und nicht im Gesicht!!!
Der „Kommissar“ und „Frau Breuer“ brechen vor Lachen in Tränen aus und können erst mal nicht mehr. Ich muss die Pause also irgendwie überbrücken.
Ich: Ihr Mann ist ständig den jungen Mädels hinterher gelaufen! Pervers ist das! Meine Tochter hatte ja schon richtig Angst vor dem!
Der „Kommissar“ und „Frau Breuer“ haben sich wieder halbwegs unter Kontrolle und versuchen, ihre Rollen – wenn auch noch immer Lachend – weiter zu spielen.
Frau Breuer (schreit): Sie haben meinen Mann als pädophiles und abartiges Arschloch bezeichnet...
Ich (schreie ebenfalls): Das stimmt ja auch!!!
Frau Breuer (schreit immer lauter): So, wie Ihre Tochter rumläuft... Wie eine Hure!!! Da können Männer schon verrückt werden!!!
Ich denke: Endlich mal eine verständnisvolle Ehefrau, warum gibt es davon nur so wenige?
Frau Breuer (schreit weiter, die Situation droht zu eskalieren): Holen Sie doch mal Ihre Tochter rein, dann sehen wir ja, wie sie rumläuft...
Ich greife ein Foto, das bereitliegt. Ich habe es im Krankenhaus, wo meine Tochter liegt, aufgenommen, bevor ich direkt zum Kommissariat fuhr. Es ist aus einer zeitung ausgeschnitten. Ich wundere mich, wie schnell doch heutzutage unsere Presse ist. Und von wem haben die das Foto, das doch noch auf meiner Speicherkarte ist???
Ich (erst leise, dann immer lauter werdend): Sie wollen meine Tochter sehen? Dann gehen Sie mal ins Krankenhaus! Da liegt sie nämlich! Und so sieht sie jetzt aus! Das ist Ihr Mann gewesen! Schauen sie sich das genau an! (Werfe ihr das Foto hin)
Kommissar (nicht mehr schreiend, aber sehr bestimmt): Frau Breuer, Sie gehen jetzt bitte raus und (zu mir gewandt) Sie setzen sich jetzt auf diesen Stuhl dort!

Ich ging also zu dem Stuhl und setzte mich. Laut Regieanweisung musste ich jetzt nur noch beichten, also nichts spektakuläres. Deswegen gehe ich hier auch nicht näher darauf ein. Aber in der Auswertung meinten beide Schauspieler, dass ich die Situation, in der sie vor Lachen nicht weiterspielen konnten, gut und professionell überspielt und gemeistert hätte. Ich könnte mir was darauf einbilden, der Erste gewesen zu sein, der sie komplett aus der Fassung gebracht hätte. Zum Schluss machte „Frau Breuer“ noch ein paar Fotos von mir.

Die erste Hürde auf dem Weg zum Ruhm hatte ich also schon genommen. Ich schritt würdig zum Fahrstuhl, begleitet von den ehrfürchtigen Blicken der Kandidaten, die noch auf ihre Chance warteten und denen noch nicht ganz klar zu sein schien, dass ich ihnen diese gerade genommen hatte. Ich fuhr ins Erdgeschoss um zur Straßenbahn zu gelangen. Ich nahm tatsächlich den Gesindecontainer, es ist eines meiner Prinzipien, ein Star zum anfassen zu sein. Außerdem habe ich kein Auto. Nicht mal einen Führerschein. Also verließ ich das Hotel, vor dem sich die üblichen Menschenmassen tummelten. Komisch: Niemand nahm mich wahr, keine kreischenden und in Ohnmacht fallenden zwölfjährigen Mädchen, die alle ein Kind von mir wollten, waren dort. Nicht mal jemand, der mich um ein Autogramm bat. IGNORANTEN! Ich stieg also in die Straßenbahn und fuhr Richtung Heimat. In den nächsten Wochen bekomme ich von der Filmfirma hoffentlich Bescheid. Auf jeden Fall habe ich schon mal Autogrammkarten in Auftrag gegeben.


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